Istanbul-Konvention gilt in Deutschland uneingeschränkt ab sofort!

Der Femizid von Ende Januar in Essen macht noch einmal sehr deutlich, wie wichtig und lebensrettend die schnelle Umsetzung der Istanbuler Konvention auch in der Ruhrmetropole sein kann.

Das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt („Istanbul-Konvention“) von 2011 ist ein völkerrechtlich bindendes Instrument zur umfassenden Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen. Dazu gehören Opferschutz, Prävention und Strafverfolgung sowie die rechtliche Gleichstellung der Geschlechter in den Verfassungen und Rechtssystemen. Die 81 Artikel umfassende Istanbul-Konvention enthält weitreichende Verpflichtungen zur Prävention und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, zum Schutz der Opfer und zur Bestrafung der Täter*innen.

Der Grundsatz der Konvention in Art. 1a lautet:

„Zweck dieses Übereinkommens ist es, Frauen vor allen Formen von Gewalt zu schützen und Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt zu verhüten, zu verfolgen und zu beseitigen.“

Die unterzeichnenden Staaten verpflichten sich, offensiv gegen alle Formen von Gewalt vorzugehen (ganzheitliche Gewaltschutzstrategie). Im Fokus steht geschlechtsspezifische Gewalt. Darunter wird jede Form von Gewalt verstanden, die sich entweder gegen Frauen richtet oder Frauen unverhältnismäßig stark trifft.

Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf häuslicher Gewalt. Deshalb können die Vertragsstaaten Opfer (häuslicher Gewalt) jeglichen Geschlechts in den Schutzbereich der Konvention mit einbeziehen.

Die Vertragsstaaten sind im Rahmen der ganzheitlichen Gewaltschutzstrategie zu verschiedenen Maßnahmen verpflichtet:

  • Gewaltprävention durch Bewusstseinsschaffung und Sensibilisierung der Öffentlichkeit.
  • Unterstützung und Schutz durch Hilfsdienste, Einsatz ausgebildeter Fachkräfte, Einrichtung von Frauenhäusern.
  • Wirksame strafrechtliche Normen und Verfahren zur Aufklärung und Sanktionierung von Gewalttaten.
  • Sofortschutz durch Kontakt- und Näherungsverbote.
  • Ausdehnung der Maßnahmen auch in Asylverfahren, eigenständige Aufenthaltstitel für Gewaltopfer.
  • Außerdem sind die Vertragsstaaten dazu verpflichtet, die widerstreitenden Interessen zwischen Opferschutz und Freiheitsrechten gewalttätiger Personen sorgfältig abzuwägen (opferzentrierter Sorgfaltsmaßstab).

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD): „Mit dieser Entscheidung sendet Deutschland ein wichtiges Signal: Wir wollen Frauen vor Gewalt und häuslicher Gewalt schützen! Wir zeigen, dass wir unsere Verantwortung ernst nehmen, Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen. Daher freue ich mich umso mehr, dass wir gemeinsam diese Entscheidung getroffen haben.“

Die Umsetzung der Istanbul-Konvention wird durch die unabhängige Expert*innenkommission GREVIO (Group of Experts on Action against Violence against Women and Domestic Violence) alle fünf Jahre überprüft.

Die ersten Ergebnisse für Deutschland wurden im Oktober 2022 veröffentlicht. Zwar stellte die Kommission erste positive Ergebnisse fest, wie das erfolgreiche Anregen einer breiten gesellschaftlichen Debatte oder eine verbesserte Datenerhebung. Allerdings stellte GREVIO bedeutende Mängel bei der Umsetzung in Deutschland fest. So mahnte GREVIO die Einführung einer staatlichen Koordinierungsstelle an, die eine Gesamtstrategie zur Umsetzung der Istanbul-Konvention verfolgt. Es fehle an angemessenen finanziellen Ressourcen sowie an der notwendigen Infrastruktur zur Unterstützung von Betroffenen. Insbesondere Frauen mit Fluchterfahrung seien in Deutschland nicht ausreichend vor Gewalt geschützt.

Auch der AWO-Bundesverband sieht noch großen Handlungsbedarf: „Die AWO fordert, dass in dieser Legislatur zügig eine bundesgesetzliche Grundlage geschaffen wird, um das Recht auf Schutz, Beratung und Hilfe bei geschlechtsspezifischer bzw. häuslicher Gewalt gegen Frauen und Mädchen zu garantieren. Bislang gibt es zur Umsetzung dieses Versprechens aus dem Koalitionsvertrag keine Ergebnisse. Es braucht ebenfalls eine bundesgesetzliche Finanzierungsregelung, um die bedarfsgerechte Infrastruktur mit Fachberatungsstellen, Notrufen, Frauenhäusern und weiteren notwendigen Angeboten vorzuhalten und entsprechend den Anforderungen aus der Istanbul-Konvention auszubauen. Nach wie vor fehlen bundesweit rund 15.000 Familienplätze in Frauenhäusern, um gewaltbetroffene Frauen und Kinder sofort aufnehmen zu können, zu schützen und auf ihrem Weg in ein gewaltfreies Leben zu unterstützen. Der Ausbau mit spezifischen Angeboten für Frauen mit Behinderungen oder psychischen Erkrankungen, wohnungslose Frauen und/oder Asylsuchende muss ermöglicht werden, um niedrigschwellige, professionelle und diskriminierungsfreie Zugänge zu Schutz und Hilfe zu gewährleisten.“ (https://awo.org/5-jahre-istanbul-konvention-deutschland-awo-kritisiert-luecken-im-gewaltschutz)

SPD-Ratsfrau Julia Jankovic sieht auch Bedarf in Essen zum Schutz von Frauen und Mädchen: „Auch in Essen müssen die Ziele der Istanbul Konvention umgesetzt werden. Es braucht ein breites Netz, insbesondere zum Schutz vor häuslicher und sexualisierter Gewalt. Hierfür muss die Zusammenarbeit von Polizei, Ordnungsdienst aber auch freier Träger gestärkt werden. Die die wichtige und engagierte Arbeit der freien Träger in der Präventionsarbeit muss zuverlässig und langfristig und auskömmlich gefördert werden und ausreichend Wohnplätze im Frauenhaus ermöglicht werden. Hilfsangebote müssen auch besser bekannt gemacht werden. Gewaltbekämpfung ist eine als Querschnittsaufgabe, auch in der Kommune. Dabei spielt Prävention eine wichtige Rolle aber auch ausreichende Hilfe im Ernstfall, damit sich Frauen und ihre Familien nachhaltig aus Gewaltspiralen lösen können.“