Besonderer Augenmerk auf Familien in der Coronakrise

Die Holsterhauser SPD-Landtagsabgeordnete Britta Altenkamp verweist auf die besondere Lage von Familien in der Coronakrise. Als Vorstandsmitglied des Vereins „Zukunftsforum Familie e.V.“ mahnt sie eine bessere staatliche Hilfe für Familien und ihren Angehörigen an.

Das Zukunftsforum Familie e. V. (ZFF) wurde 2002 auf Initiative der Arbeiterwohlfahrt (AWO) gegründet. Als familienpolitischer Fachverband setzt sich der Verein für eine Politik ein, die die Vielfalt der Lebensformen von Familien schützt, fördert und als Chance begreift. Das Verständnis von Familie ist beim ZFF breit gefächert: Familie ist überall dort, wo Menschen dauerhaft füreinander Verantwortung übernehmen, Sorge tragen und Zuwendung schenken.

Das ZFF hat verschiedene Angebote der Politik geprüft und macht auf Lücken sowie Schwachstellen der politischen Entscheidungen im Interesse von Familien hin. Nachfolgend eine Zusammenfassung der familienpolitischen Entscheidungen, Einschätzungen und Hinweise des ZFF:

  1. Für Eltern, die in so genannten „systemrelevanten“ Berufen arbeiten, wird eine Kindertagesbetreuung angeboten. Die konkreten Regelungen unterscheiden sich je nach Bundesland: In vielen Ländern gilt dieses Angebot auch dann, wenn nur ein Elternteil in einem solchen Beruf arbeitet. In anderen Bundesländern gilt dies nur für bestimmte der systemrelevanten Berufe. Auch die Berufe, die als solche gezählt werden, sind teilweise in den Bundesländern verschieden: In jedem Fall sind es medizinische und pflegerische Berufe, teilweise auch Eltern, die in Bereichen der „kritischen“ Infrastruktur arbeiten (Strom, Gas, Abfall usw.), teilweise auch Journalist*innen. Mittlerweile wird darüber verhandelt auch Mitarbeitende in der Kinder- und Jugendhilfe zu diesen Berufsgruppen zu zählen.
  2. § 616 BGB regelt die Lohnfortzahlung bei „vorübergehender Verhinderung“ und somit eine kurzfristige Freistellung von der Erwerbsarbeit bei vollem Lohnausgleich,
    1. wenn Kinder oder auch pflegebedürftige Angehörige nicht anders betreut werden können. Allerdings greift dieses Instrument nur für wenige Tage und auch nur dann, wenn keine Betreuungsalternativen gefunden werden. Ebenso werden etwaige Zahlungen aus einer Unfall- oder Krankenversicherung verrechnet.
    2. Krisenbedingt und bis Ende 2021 befristet sind die Zugangsvoraussetzungen zum Kurzarbeitergeld nach § 95 SGB III verändert worden: Ab sofort können Unternehmen dieses Instrument auch dann nutzen, wenn nur 10 Prozent ihrer Beschäftigten davon betroffen sind. Auf Antrag erstattet die Bundesagentur für Arbeit Eltern mit Kindern bis 12 Jahren 67 Prozent des Nettolohnes, der wegfällt (dies kann aber auch bedeuten, dass der Lohn vollständig wegfällt). Hiervon müssen Sozialabgaben entrichtet werden, gleichzeitig bleibt der volle Anspruch auf ALG I bestehen. Um die Einkommenslücke zu reduzieren, werden in immer mehr Branchen Tarifverträge abgeschlossen, in denen das Kurzarbeitergeld auf teilweise bis zu 100 Prozent aufgestockt wird. Niedriglohnbeschäftigte sind davon aber weitgehend ausgeschlossen, da sie nur zu einer Minderheit tarifgebunden beschäftigt sind.
    3. In § 56 des „Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen“ (Infektionsschutzgesetz) ist in der vergangenen Woche ein neuer Paragraf 1a eingefügt worden, welcher eine Entschädigung für Verdienstausfall regelt in dem Fall, in dem Eltern ihre Kinder (leibliche Kinder sowie Pflegekinder) bis 12 Jahren bzw. Kinder mit Behinderungen zu Hause betreuen müssen, da Einrichtungen der Kindertagesbetreuung und Schulen geschlossen sind. Voraussetzung hierfür ist, dass die Einrichtung (z.B. auf Grund von Schulferien) nicht ohnehin geschlossen hätte, dass keine anderweitige Betreuung organisiert werden kann, Überstunden bereits abgebaut und bspw. auch aus dem Vorjahr übertragener Resturlaub genommen wurde. Der Verdienstausfall wird erstattet in Höhe von 67 Prozent, maximal sechs Wochen lang und bis zu einer Höhe von 2.016 Euro.
    4. § 45 SGB V regelt, dass Eltern, die selbst bzw. deren Kinder gesetzlich krankenversichert sind, bis zu zehn Kind-krank-Tage pro Jahr (Alleinerziehende: 20 Tage) geltend machen können. Hierbei wird der Lohn von der Krankenkasse übernommen, in der Regel in Höhe von 90 Prozent des Nettolohnes. Diese Regelung greift allerdings nur, wenn das Kind tatsächlich erkrankt ist und dieses ärztlich bestätigt wurde.
    5. Im Rahmen des Sozialschutz-Paketes, welches auch in der vergangenen Woche verabschiedet wurde, sind die Zugangsvoraussetzungen zum Kinderzuschlag verändert worden (Notfall-KiZ): Bis auf weiteres wird zur Berechnung der Höhe des Zuschlags nur das Elterneinkommen des vergangenen Monats herangezogen und nicht, wie bisher, der vergangenen sechs Monate. So soll erreicht werden, dass Familien mit Kindern, die krisenbedingt starke Einkommenseinbußen hinnehmen müssen, schneller den Kinderzuschlag erhalten können. Darüber hinaus wird nun für Familien, die bislang den Höchstbetrag von 185 Euro erhalten haben, diesen ohne weitere Prüfung für weitere sechs Monate beziehen, um dadurch die Verwaltung in den Familienkassen zu entlasten. Der Antrag auf Notfall-KiZ kann online gestellt werden.
    6. Im gleichen Paket sind die Regelungen im SGB II verändert worden: Die Vermögensprüfung wird bei Neuanträgen vorübergehend ausgesetzt und die Kosten
      1. für Unterkunft und Heizung (KdU) derzeit ohne weitere Prüfung als „angemessen“ anerkannt.
      2. Darüber hinaus gilt ab sofort und zunächst bis zum 30. Juni ein Kündigungsverbot für Mieter*innen, die auf Grund von krisenbedingten Einkommenseinbußen ihre Miete nicht mehr vollständig bezahlen können. Die auflaufenden Mietschulden müssen aber bis spätestens 22. Juni 2022 beglichen werden.

      Eine gute Übersicht über familienunterstützende Hilfen und Beantragungsformalitäten findet sich bspw. auf den Seiten des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/corona-pandemie

      Als ZFF haben wir u.a. zum Sozialschutz-Paket Stellung genommen. Diese Stellungnahme finden Sie auf unserer Homepage. Darin wurden von uns diese Schritte begrüßt, gleichzeitig sehen wir Leerstellen mit Blick auf arme bzw. armutsbedrohte Familien sowie für Menschen, die sich um pflegebedürftige Angehörige kümmern:

      • Unterstützung für Bildung und Teilhabe (BuT), auf welche arme und armutsbedrohte Familien mit Kindern im Bezug von Leistungen nach SGB II, SGB XII, AsylbLG, Wohngeldgesetz und Kinderzuschlag Anspruch haben, muss derzeit ausschließlich innerhalb der Familien geleistet werden. Mindestens das Geld für das Mittagessen, welches jetzt nicht in Kita und Schule stattfindet, sollte daher ausbezahlt werden.
      • Das ZFF unterstützt daher die Idee einiger Verbände, krisenbedingte Erhöhungen des Regelsatzes sowie entsprechende Zuschläge zum Regelsatz zu gewähren.
      • Ebenfalls gilt der verkürzte Bemessungszeitraum im Notfall-Kiz nur für das Einkommen der Eltern und nicht für Kindeseinkommen. Dies ist in der gegenwärtigen Situation nicht zu befürworten, denn Kindeseinkommen speist sich meist aus Unterhaltszahlungen. Diese können jedoch wegen der Krise und der Einkommenseinbußen der Unterhaltspflichtigen ebenfalls kurzfristig wegfallen und die Sicherung der Existenz des Kindes im Haushalt der Alleinerziehenden gefährden. Aus unserer Sicht sollte der kurzfristige Bemessungszeitraum auch für Kindeseinkommen gelten.
      • Zudem muss sichergestellt werden, dass alle Schulkinder Zugang zum Internet haben durch die Übernahme der entsprechenden Anschlusskosten sowie die Anschaffung von digitalen Endgeräten oder Computern, sofern diese nicht vorhanden sind. Hierfür wird ein zusätzliches „Schulbedarfspaket“ dringend benötigt. Da so gut wie alle Schulen den Unterricht derzeit auf digitales Lernen und den Online-Kontakt mit Lehrer*innen umgestellt haben, müssen ausnahmslos alle Schulkinder die Möglichkeit erhalten, an diesen Lernformaten teilzuhaben.
      • Darüber hinaus regt das ZFF (bspw. in Anlehnung an die Nationale Armutskonferenz) an, auch die Stromkosten vollständig und zusätzlich zum SGB II Regelsatz zu übernehmen, da für die kommenden Wochen, wenn alle Familienmitglieder überwiegend zu Hause sind, von einem erhöhten Stromverbrauch auszugehen ist.

      Neben den bundesweiten Maßnahmen sind jedoch derzeit alle gesellschaftlichen Akteur*innen gefordert, Familien und die in ihnen geleistete Fürsorge- und Bildungsarbeit zu unterstützen: Arbeitgeber*innen sollten sich darüber im Klaren sein, dass Kinderbetreuung, Home-Schooling und Erwerbsarbeit im Home-Office nicht vollumfänglich miteinander vereinbar sind. Lehrer*innen müssen berücksichtigen, dass Eltern neben der Erwerbsarbeit und ggf. der Kinderbetreuung kleinerer Kinder nicht uneingeschränkt die Begleitung aktueller Bildungsprozesse leisten können und nicht alle Kinder dauerhaften Zugang zu einem Laptop, Computer oder Drucker haben. Zudem ist es wichtig, dass die Unterstützungssysteme der Familienbildung und -beratung nach § 16 SGB VIII sowie weiterer Angebote der Kinder- und Jugendhilfe derzeit so ausgestattet bleiben, dass sie Familien in dieser besonders schweren Zeit gut und unterstützend zur Seite stehen können und sie auch danach noch weiter zur Verfügung stehen können.

      Darüber hinaus müssen Angebote der Beratung, Unterbringung und zum Schutz von Kindern, Jugendlichen und weiteren Familienangehörigen (meist Frauen) vor Gewalt dringend aufrechterhalten und ausgebaut werden. Dieses setzt u.a. voraus, dass die Kommunen kurzfristig in die Lage versetzt werden, die Finanzierung dieser Angebote abzusichern.

      Derzeit werden etwa drei Viertel aller pflegebedürftigen Menschen zu Hause uns überwiegend von Angehörigen versorgt. Teilweise geschieht dies in Zusammenarbeit mit ambulanten Pflegediensten oder mit privaten Pflegekräften und unterstützt von einer kommunalen Infrastruktur wie den Pflegestützpunkten. Viele dieser Angebote stehen derzeit nur eingeschränkt zur Verfügung und pflegende Angehörige sind noch stärker als sonst belastet. Die Maßnahmen, die bspw. im Infektionsschutzgesetz oder im Sozialschutz-Paket beschlossen wurden, greifen für diese Familien nicht. Daher muss hier aus Sicht des ZFF dringend nachgebessert werden, bspw. durch eine Ausweitung der bezahlten Freistellung nach dem Pflegezeitgesetz oder einen vereinfachten Zugang zur Verhinderungspflege.