Überlegungen und vier konkret zu verhandelnde Ziele der Strukturwandelkommission aus Sicht Nordrhein-Westfalens

Debattenbeitrag von Sebastian Hartmann

Sebastian Hartmann
Sebastian Hartmann

Die Kommission für „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ ist eine großartige Chance für Nordrhein-Westfalen. Aber nur dann, wenn man sie nutzt. Aus nordrhein-westfälischer Sicht brauchen wir für die vier Regionen NRWs auch vier individuelle Lösungen. Das Wichtigste zu Anfang: Für NRW ist es zentral, nicht nur isoliert das „Rheinische Revier“ zu sehen, sondern auch das Ruhrgebiet und weitere Teile Nordrhein-Westfalens als Teil des Strukturwandels zu begreifen. Ganz NRW ist in den Blick zu nehmen, wenn es um Schaffung einer dauerhaft sicheren, sauberen und vor allen Dingen bezahlbaren Energieerzeugung geht. Das Gleiche gilt für die Schaffung und Sicherung neuer und vorhandener, werthaltiger Industriearbeitsplätze und den Erhalt dauerhafter Wertschöpfung. Also ist der erste Gedanke, die Regionen Nordrhein-Westfalens beieinander zu halten und individuelle Pfade zu finden.

Der zweite Gedanke ist, dass Sozialverträglichkeit nicht bedeuten kann, einseitig Unternehmen zu entschädigen, die möglicherweise nur Dividenden oder Bilanzinteressen haben. Konkret: Weder die Beschäftigten der Unternehmen noch die Bewohner der betroffenen Regionen dürfen auf der Strecke bleiben. Die Gewerkschaften und die Vertretung der Beschäftigten nehmen in allen Regionen eine Schlüsselstellung ein. Gleiches gilt für die Menschen in den Regionen, die auf eine ökologische Energieerzeugung setzen und einen schnellen Ausstieg aus der Kohleverstromung wollen. Zusammengefasst: Der Kohleausstieg muss sowohl schnellstmöglich kommen – aber er muss in allen Facetten sozialverträglich sein. Dafür muss der Pfad, den die NRW-Landesregierung unter Hannelore Kraft schon 2014 mit Blick auf eine neue Leitentscheidung begonnen hat, konsequent weitergeführt werden. Der Wandel gelingt nur, wenn niemand „ins Bergfreie“ fällt.

Der dritte Gedanke ist folgendem einfachen Grundsatz geschuldet: Wir brauchen in Deutschland eine saubere, sichere und vor allen Dingen bezahlbare Energieversorgung. Die Energieversorgung wird, wenn wir 65 Prozent Erneuerbare in der Energieerzeugung haben, mutmaßlich kostengünstiger sein als heute. Doch der Weg dahin ist die eigentlich spannende Frage. Hier kommen wir wieder zum ersten Gedanken: Die Verknüpfung der Regionen und nicht nur der Reviere. Denn die meisten Arbeitsplätze im produzierenden Gewerbe in den Industriearbeitsplätzen sind mittlerweile in den kreisangehörigen Räumen und nicht mehr in den kreisfreien Städten. In Nordrhein-Westfalen ist das Verhältnis ca. 60:40 – je nach Region und je nach Branche. Sie liegen im rheinischen Revier, aber beispielsweise auch in Süd- oder Ostwestfalen. Das muss man mitberücksichtigen. Umgekehrt: Wer diese Vielfalt vergisst, verspielt nicht nur die Chancen im rheinischen Revier, sondern schadet dem Industrieland NRW insgesamt.

Beim vierten und letzten Gedanken geht es ums Geld. Der Strukturwandel wird Geld kosten. Da kommt es ausdrücklich auch auf die Größe des Tortenstücks NRWs und die Gesamtgröße des „Bundeskuchens“ an. Die 1,5 Milliarden Euro, die im Bundeshaushalt eingestellt sind, sind ein erster Schritt und zeigen die bundespolitische Verantwortung auf. Dieses Geld ist klug zu investieren, beispielsweise in Planungskapazitäten oder die Ausarbeitung von individuellen Lösungen für die Regionen. Alle weiteren Finanzmittel müssen nachhaltig investiert werden und den Regionen insgesamt zugutekommen. Da sind wir wieder bei den Unternehmen. Selbstverständlich nehmen diese in der sozialen Marktwirtschaft eine zentrale Stellung ein. Aber auch Entschädigungen, die sie möglicherweise verlangen oder erhalten könnten, sind immer so zu betrachten, dass sie auch der Region nutzen. Notfalls muss dieses sondergesetzlich abgesichert oder konkrete Vereinbarungen – z.B. mit Konzernen wie RWE – geschlossen werden, sodass die zur Verfügung gestellten Mittel einer dauerhaften Investition dienen und nicht dem schnellen Dividendenreibach einzelner Aktionärsgruppen. Wir sollten voneinander lernen und gerade in Nordrhein-Westfalen die Regionen anders zusammendenken, wenn der Wandel, der schon längst begonnen hat, gelingen soll. Der Schlüssel zum Erfolg liegt auch darin, trotz sprudelnder Steuereinnahmen nicht nur die Ausgaben, sondern auch die Einnahmenseite zu betrachten.

Leitlinie der Investitionen muss sein: Die Investitionen müssen dauerhaft sein, sie müssen der Verflechtung der regionalen Wertschöpfung und ihrem Erhalt dienen, sie müssen neu und innovativ sein und nicht einfach „mehr vom Alten“, denn das würde dem Wandel nicht gerecht.

Zusammengefasst: Die oben genannten vier strategischen Ziele sind die Fixpunkte für die Verhandlungen der nordrhein-westfälischen SPD und sollten auch Linie des Landes Nordrhein-Westfalen sein, wenn es um die Ergebnisse der Strukturwandelkommission geht. Sie sind auch Gradmesser bei der Bewertung der Ergebnisse der Strukturwandelkommission aus nordrhein-westfälischer Sicht.

In Bezug auf die Verhandlungsführung und -strategie der NRW-Landesregierung muss sich Ministerpräsident Armin Laschet fragen lassen, ob er die Vereinbarungen der Strukturwandelkommission nicht gelesen hat. Anders ist seine Passivität bei einem der zentralen Zukunftsthemen für unser Bundesland nicht erklärbar. Die ostdeutschen Länder sind in der Frage, wie sie sich konkret das Auslaufen des Bergbaus und die wirtschaftliche Zukunft ihrer Regionen vorstellen, inhaltlich wesentlich weiter, besser organisiert und artikulieren ihre Forderungen selbstbewusst und nachhaltig. Im Gegensatz dazu ist die schwarz-gelbe Landesregierung nicht nur nicht auf Ballhöhe, sie war bisher überhaupt nicht auf dem Platz.

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Debattenbeitrag zum Strukturwandel von Sebastian Hartmann